Wer verdient am Kaffee?
Wertschöpfung, Macht und Margen zwischen Bauernhof, Rösttrommel und Konzernzentrale
Kaffee ist ein Milliardenmarkt – aber die meisten, die ihn anbauen, leben am Rand der Armutsgrenze. Rund 12,5 Millionen Farmer:innen in mehr als 70 Ländern produzieren Kaffee; fünf Länder (Brasilien, Vietnam, Kolumbien, Indonesien, Honduras) liefern 85 % der globalen Menge. Trotzdem bleibt das System überwiegend extraktiv: möglichst billig einkaufen, möglichst teuer verkaufen. Für „Nachhaltigkeit“ gibt es viele Logos – für existenzsichernde Einkommen deutlich weniger Belege.
Der Kaffee-Franken: Wer kassiert welche Anteile?
Vereinfacht fließen die Erlöse einer Packung oder eines Cappuccinos an:
• Farmer:innen & lokale Lieferkette (Farmgate, Aufbereitung, lokale Transporte, Export)
• Importeure & Logistiker (Seefracht, Versicherung, Zölle, Finanzierung)
• Röster:innen (Einkauf, Röstung, Energie, Abschreibungen, Löhne, Miete, Finanzierung, Risiko)
• Marken & Handel (Marketing, Verpackung, Vertrieb, Margen)
Studien zum Wertverteilungsmodell (u. a. BASIC/Solidaridad/GCP/IDH) zeigen: In gängigen Lieferketten (z. B. Brasilien/Deutschland) landet nur ein kleiner Bruchteil des Endverbraucherpreises bei den Produzent:innen – während am Ende der Kette (Marke/Einzelhandel) die höchsten Netto-Margen vereinnahmt werden. Die konkreten Anteile schwanken je nach Land, Qualität, Akteursmacht und Produkt (Bohnen, Kapseln, Getränke). Aber das Muster bleibt: unten hohe Kosten und Risiken, oben die dicken Margen.
Die ICO (International Coffee Organization) unterstreicht diesen Befund: Trotz steigender globaler Umsätze ist die Einkommenssituation vieler Kleinbäuer:innen volatil und unzureichend; Wertschöpfung und Gewinne entstehen überproportional in nachgelagerten Stufen (Röstung, Marken, Retail).
Sustainability“ vs. Realität
Der Coffee Barometer 2023 bilanziert nüchtern: Vieles, was als „nachhaltig“ vermarktet wird, verfehlt messbare soziale und ökologische Ziele – insbesondere bei Existenzsicherung. Der Bericht spricht von einem Sektor „in der Krise“: Klimarisiken steigen, Preisvolatilität bleibt, und die Ungleichverteilung der Wertschöpfung ist hartnäckig.
Fallbeispiel Konzern: Nestlé (Nescafé, Nespresso, Starbucks-Lizenz)
Nestlé ist einer der mächtigsten Spieler im Kaffee – mit globalen Marken, Marketingmacht und direktem Kundenzugang. 2024/25 meldete der Konzern Kaffee als größten Wachstumsbeitrag; die Underlying Trading Operating Profit (UTOP) Margin für den Konzern lag zuletzt grob im mittleren Zehnerbereich (Richtgröße ~17 %, je nach Periode), während die Bruttomarge bei ~46–47 % lag. Das sind konzernweite Größen, nicht nur Kaffee – sie zeigen aber, wie wertvoll das Marken- und Systemgeschäft am Ende der Kette ist. Zugleich betont Nestlé höhere Inputkosten u. a. bei Kaffee/Kakao – die Margen bleiben dennoch robust.
Gleichzeitig testet Nestlé Cash-Anreize für Farmer:innen, die regenerativ wirtschaften – Teil eines 1-Milliarde-US-$-Programms bis 2030. Positiv: Es vergütet Praktiken, die langfristig Erträge stabilisieren. Aber: Solche Initiativen ändern nicht automatisch die grundlegende Wertverteilung, solange Einkaufslogik, Risikoverschiebung und Preisdruck bestehen.
Fazit Konzernperspektive: Marktmacht (Skala, Marketing, Distribution, Kapselsysteme) erlaubt überdurchschnittliche Marge am Regal. Hohe Volumina und starke Marken heben die Profitabilität – während Wertschöpfung „unten“ oft nichtkostendeckend entlohnt wird.
Gegenüberstellung: Kleine Produzent:innen & Röstereien
Kleine Produzent:innen tragen:
• Klimarisiken, Ertragsausfälle, Preisvolatilität
• Steigende Produktionskosten (Dünger, Arbeit, Infrastruktur)
• Geringe Verhandlungsmacht gegen Export/Import/Marke
Kleine Röstereien tragen:
• Höhere absolute Stückkosten (Transport pro Sack, Finanzierung, Energie, Verlustquoten)
• Arbeitsintensive Qualitätssicherung (Cupping, Profilentwicklung)
• Geringe Skaleneffekte in Verpackung, Marketing, Distribution
Trotzdem können Kleinröster:innen den Farmer:innenanteil gezielt erhöhen – etwa durch Origin-Buy, Mindestpreise über Markt, Mehrjahresverträge, Upfront-Finanzierung oder Living-Income-Preislogiken. Fairtrade zeigt, dass Mindestpreise/Prämien Abstürze abfedern und Planungssicherheit erhöhen; 2023 wurde der Mindestpreis deutlich angehoben, 2025 flossen 82 Mio. € an Fairtrade-Prämien an Kaffeeproduzent:innen. Aber: Nur ein Teil der Ernte wird tatsächlich zu Fairtrade-Bedingungen verkauft – die Hebelwirkung bleibt begrenzt, solange der Mainstream billig einkauft.
Warum bleibt beim Ursprung so wenig hängen?
1. Preisbildung & Volatilität
Börsenpreise (Arabica/Robusta) schwanken stark; selbst große Käufer (z. B. Starbucks) passen Hedging-Strategien an. Volatilität erhöht das Risiko „unten“, sichert aber „oben“ oft durch Preissetzung/Marketing ab.
2. Strukturelle Marktmacht
Wenige Händler/Röster kontrollieren große Volumen, setzen Vertragsbedingungen, Zahlungsziele und Qualitätsanforderungen.
3. Kostenlast am Ursprung
Klima-Anpassung, Qualitätssicherung, Zertifizierung, Kreditzinsen – Vieles zahlt die Farmseite, ohne sichere Preisaufschläge.
4. Markenwert & Bequemlichkeit
Der größte Teil der Konsumenten-Zahlungsbereitschaft gilt Convenience und Marke (Pods, Ready-to-Drink, Shop-Erlebnis) – nicht der Rohbohne.
Der Coffee Barometer fasst zusammen: Solange die großen Käufer billige Rohware priorisieren und Nachhaltigkeit freiwillig bleibt, ändert sich an der Wertverteilung wenig.
Spezialitätenkaffee: Chance oder Feigenblatt?
Im Specialty-Segment können Farmer:innen mehr verdienen – wenn Qualität, Transparenz und Beziehungen stimmen. Doch auch hier gilt:
• Ohne mehrjährige Abnahme, Vorfinanzierung und klaren Preisformeln (z. B. Kostendeckung + Lebensunterhalt + Invest) bleibt es oft bei einmaligen „Good News“.
• Studien zeigen große Streuung: Größere Farmen profitieren über Effizienz, Kleinbetriebe kämpfen mit Fixkosten – gleicher Farmgate-Preis wirkt sehr unterschiedlich.
Rechenbeispiel (transparent & greifbar)
Angenommen, ein Kleinröster in der Schweiz kauft 1 Sack (60 kg) Specialty Arabica zu 7,00 CHF/kg FOB (inkl. Export), plus Transport/Zoll/Logistik von 0,80 CHF/kg. Rohkaffee landet für 7,80 CHF/kg in der Rösterei.
• Röstverlust ~15 % ⇒ aus 1 kg Rohkaffee werden 0,85 kg Röstkaffee.
• Rohkaffeeanteil pro kg Röstkaffee ≈ 9,18 CHF (7,80 CHF / 0,85).
• Direktkosten (Energie, Beutel, Ventile, Etikett, Karton, Gebühren) ≈ 2,00–3,00 CHF/kg.
• Gemeinkosten (Miete, Löhne, Abschreibung, Zins, IT/Shop, Marketing, Ausschuss) variieren stark; konservativ 5–8 CHF/kg.
Verkaufspreis im Direktverkauf: z. B. 38–46 CHF/kg. Übrig bleibt eine operative Marge, die Risiken (Nachrösten, Schwund, Retouren), Löhne und Investitionen decken muss.
→ Kleine Röster:innen können den Farmer:innenanteil real steigern, aber Logistik in Kleinstmengen frisst Marge – besonders bei 1–2 Säcken pro Einkauf (Transportkosten/Sack). Genau hier kippt die Wirtschaftlichkeit gegenüber Konzernen mit Container-Skalen. (Beispielrechnung zur Illustration; Werte variieren je nach Fall.)
Was verbessern kann – und was nicht
Wirksam:
• Mehrjahresverträge mit klarer Preisformel (Kostendeckung + Living Income)
• Vorfinanzierung & Ernte-Abnahmegarantie
• Transparente Preisaufschlüsselung bis Farmgate (öffentlich)
• Größere, seltenere Käufe (4+ Säcke) zur Senkung der Transportkosten/Sack
• Kooperative Logistik (Sammelcontainer, Shared Warehousing)
Begrenzt wirksam allein:
• Einzelne Prämien ohne Vertragslogik
• Zertifikate ohne Preiswirkung
• Marketing-Claims ohne offene Zahlen
Fairtrade zeigt positive Effekte (Mindestpreis, Prämien, 2023er Anpassung) – gleichzeitig verkauft laut Umfragen ein großer Teil der Produzent:innen nur einen Bruchteil ihrer Ernte zu Fair-Bedingungen (z. B. ~30 %). Hebel entsteht erst, wenn mehr Volumen zu besseren Bedingungen abgenommen wird.
Politik & Regulatorik
EU-Regeln (z. B. Entwaldungsverordnung) erhöhen Transparenzdruck. Konzerne reagieren mit Programmen und Sourcing-Versprechen – gut, aber nicht ausreichend, solange die Preis- und Risikoteilung unberührt bleibt. Selbst große Player verweisen inzwischen auf Kostenanstiege bei Kaffee/Kakao – doch die Margen am Ende der Kette bleiben im internationalen Vergleich beachtlich.
Kurzbilanz: Nestlé & Co. vs. kleine Röstereien
• Konzerne monetarisieren Marke, System (Pods), Marketing, Distribution. Ergebnis: hohe Bruttomargen, solide operative Renditen – trotz teurer Rohwaren.
• Kleine Röstereien schaffen geschmackliche Qualität und Transparenz, zahlen oft über Markt, aber kämpfen mit Skalennachteilen (Transport, Verpackung, Arbeitszeit).
• Farmer:innen tragen Klimarisiken und Preisvolatilität – und erhalten zu wenig vom Endpreis. Die Literatur ist sich einig: Ohne andere Preislogiken bleibt das so.
Was Konsument:innen (und die Branche) konkret tun können
1. Nach Preisen fragen – nicht nur nach Herkunft: Wie viel ging an Farmgate?
2. Transparente Röster:innen bevorzugen, die Zahlen offenlegen und mehrjährig einkaufen.
3. Weniger Sorten, mehr Tiefe: Volumen bündeln, Transportkosten senken, Farmer:innen-Anteil erhöhen.
4. Kooperationen zwischen Kleinröstereien für Sammelimporte.
5. Living-Income-Modelle testen und kommunizieren (öffentlich, überprüfbar).
Was Konsument:innen (und die Branche) konkret tun können
1. Nach Preisen fragen – nicht nur nach Herkunft: Wie viel ging an Farmgate?
2. Transparente Röster:innen bevorzugen, die Zahlen offenlegen und mehrjährig einkaufen.
3. Weniger Sorten, mehr Tiefe: Volumen bündeln, Transportkosten senken, Farmer:innen-Anteil erhöhen.
4. Kooperationen zwischen Kleinröstereien für Sammelimporte.
5. Living-Income-Modelle testen und kommunizieren (öffentlich, überprüfbar).
Quellen (Auswahl)
• Coffee Barometer 2023 – Ethos Agriculture (Sektorstatus, Nachhaltigkeit, Marktmacht).
• Solidaridad/GCP/IDH/BASIC (2024) – Modell zur Wertverteilung entlang der Kette (Farmer→Retail, DE).
• ICO Coffee Development Report 2022–23 (2024 publ.) – Struktur & Resilienz der globalen Kette.
• Fairtrade (2023–2025) – Mindestpreisanpassung, Prämien, Volumina & Limitierungen.
• Nestlé – Annual Review / Ergebnis-Updates 2024–2025 (Brutto- & operative Margen, Kaffee als Wachstumstreiber).