Verzweifelte Bauern protestieren gegen Nestlés tiefe Einkaufspreise
Der Nescafé-Plan verspricht Kaffee-Produzent*innen seit 2010 mehr Einkommen und ein besseres Leben, auch in Mexiko. Doch unsere Feldrecherchen im Bundesstaat Chiapas zeigen, dass an diesem Nachhaltigkeitsprojekt beteiligte Bauernfamilien nicht über die Runden kommen und sich von Nestlé betrogen fühlen. Ihr Hauptvorwurf: Der Schweizer Branchenführer zahlt seit Jahren Preise, die kaum ihre Produktionskosten decken. Deshalb brennen in der Kaffeeregion Soconusco jetzt Nescafé-Säcke
Seit über zehn Jahren drängt Nestlé die Landwirtschaftsbetriebe in Chiapas schon zur Umstellung auf den Anbau von Robusta-Kaffee, der im Vergleich zum traditionell dort angebauten Arabica auf dem Weltmarkt zwar tiefere Preise erzielt, den der Konzern aber für die Herstellung seines Nescafé-Pulverkaffees benötigt: 2022 hat Nestlé in Mexiko eine neue Nescafé-Fabrik mit einer Kapazität von jährlich 40’000 Tonnen Rohkaffee eröffnet. Als Public Eye im Februar 2024 vor Ort recherchiert hat, verbrannten Bäuerinnen und Bauern bei Protestaktionen in Tapachula gerade gefüllte Kaffeesäcke mit der Aufschrift «Nescafé Plan». Das «Unternehmen ohne Ethik» lasse Chiapas verarmen, steht auf einem der Transparente. Dabei wird der Rohstoff, den Nestlé hier einkauft, als «verantwortungsvoll» produziert vermarktet: Bäuerinnen und Bauern profitieren im Rahmen des Nescafé-Plans von Schulungen und besonders ergiebigen Robusta-Setzlingen und erreichen dadurch einen höheren Lebensstandard, so das Versprechen aus der Schweiz.
Zugleich praktiziert Nestlé aber eine rücksichtslose Einkaufspolitik: In der diesjährigen Erntesaison zahlt der Nahrungsmittelkonzern Preise, die unter den Produktionskosten liegen und real tiefer sind als ein Jahr zuvor. Das, obwohl im gleichen Zeitraum der Robusta-Börsenpreis um 50% gestiegen ist und die Bäuerinnen und Bauern mit höheren Produktionskosten zu kämpfen haben. Ihrer Forderung nach einem wenigstens kostendeckenden Mindestpreis kommt Nestlé bisher dennoch nicht nach. Dieses Verhalten illustriert die Machtasymmetrie zwischen dem Branchenführer und seinen Rohstofflieferant*innen. In einer Petition fordern die betroffenen Bauernfamilien, dass Nestlé sie endlich fair bezahlt. Knapp die Hälfte aller Kaffeebäuerinnen und -Bauern lebt weltweit noch immer in Armut. Die Hälfte davon sogar in extremer Armut, also mit weniger als 1.90 US-Dollar pro Tag. Das beobachtete Public Eye auch in Chiapas, wo vielen Kleinbauernfamilien schon ein halbes Jahr nach der Kaffeeernte das Geld und damit auch das Essen ausgeht. Der tiefe Preis, den die Bauern für den Kaffee erhalten, ist der Hauptfaktor für die flächendeckende Armut, welche weitere Probleme wie Kinderarbeit nach sich zieht.
Das Recht auf existenzsichernde Einkommen ist ein international anerkanntes Menschenrecht. In seinem «Living Income Action Plan» versichert Nestlé, dieses Recht auch mit dem Nescafé-Plan zu fördern. Seine Preisdrückerei steht aber in fundamentalem Widerspruch zu diesem Bekenntnis. Das geplante EU-Konzernverantwortungsgesetz, das noch dieses Jahr verabschiedet werden soll, sieht vor, dass Unternehmen im Rahmen ihrer Sorgfaltspflichten das Recht auf existenzsichernde Einkommen respektieren müssen. Auch die Schweiz muss bestehende Gesetzeslücken schliessen und für die Einführung und wirksame Durchsetzung von Regeln zur Achtung der Menschen- und Umweltrechte durch Konzerne sorgen
Oliver Classen, Mediensprecher, 044 277 79 06, hc.eyecilbupobfsctd@nessalc.revilo
Carla Hoinkes, Agrarexpertin, 044 277 79 04, hc.eyecilbupobfsctd@seknioh.alrac
Foto:©Damián Sánchez / Public Eye